„In allen Kulturen der Welt erlebt fast eine von drei Frauen eine Form von Gewalt, die in der Regel von einem männlichen Partner oder Familienmitglied ausgeübt wird – ein Problem, das eine kollektive Antwort erfordert“, heißt es in der offiziellen Pressemitteilung zur neuen Pomellato-Kampagne, in deren Rahmen verschiedene Organisationen (wie beispielsweise CADMI, ein Zentrum und Zufluchtsort für Opfer häuslicher Gewalt in Mailand) unterstützt werden.
Mit VOGUE sprach Lucia Annibali über ihre Erfahrungen und ihr Engagement für Pomellato.
Anwältin Lucia Annibali im VOGUE-Interview
VOGUE: Hat sich die öffentliche Diskussion über Gewalt gegen Frauen in Italien seit dem Angriff auf Sie vor elf Jahren verändert?
Lucia Annibali: Meiner Meinung nach hat sich im öffentlichen Diskurs um Gewalt gegen Frauen seither nicht wirklich etwas verändert. Ich erinnere mich noch daran, wie ich 2013 im Krankenhaus lag und es im TV einen Beitrag zu dem Säureanschlag auf mich gab. Ich war zu dem Zeitpunkt völlig blind, konnte also nur zuhören – und die Worte, die die Leute im Fernsehen über mich, meine Geschichte und von Gewalt betroffenen Frauen verwendeten, haben mich so sehr verletzt. Frauen, die Gewalt erfahren, werden noch immer vorverurteilt. Es sei ihre Verantwortung, dass sie Gewalt erleben. Auch heute findet man dieses Storytelling noch oft. Ich finde also, dass wir in unserer Gesellschaft mehr Fortschritte machen müssen – und das fängt schon bei der Sprache an.
Der Mann, der damals den Säure-Anschlag auf Sie in Auftrag gegeben hat, war wie Sie Anwalt. Würden Sie sagen, dass das bestätigt, wie tief die Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft verwurzelt ist und dass sie nicht auf eine kleine Gruppe von Männern beschränkt ist?
Ja, definitiv. Jeder Mann in jedem Land der Welt kann Gewalt gegen Frauen ausüben. Es gibt keinen Unterschied zwischen Beruf, Klasse oder Kultur. Und so kann auch jede Frau Opfer von geschlechtsbezogener Gewalt werden.
Als Anwältin sind und waren Sie Teil des Justizsystems. Haben Sie sich während Ihres Falls damals von der Justiz unterstützt gefühlt?
Ich denke, dass es in meinem Fall Gerechtigkeit gegeben hat. Ich habe mich während meines Prozesses ja selbst als Anwältin vertreten und kannte daher alle relevanten Gesetze. Nichtsdestotrotz fühlte ich mich manchmal ein wenig einsam. Aber ich hatte auch die Kraft – trotz all dem Leid und der Schmerzen –, für meine Würde zu kämpfen.