„Was hättest du getan?“ – diese Entscheidungsfrage stellt schon das Plakatmotiv des Films den Zuschauenden. Hat sich Ihre persönliche Antwort auf diese Frage durch diese Rolle verändert?

Ich glaube, meine Sicht darauf ist jetzt differenzierter als früher. Meine Haltung war zwar auch schon vorher, dass man eben nicht sagen kann, was man getan hätte, wenn man selbst nie in einer solchen Situation war. Diese Haltung hat sich durch den Film, das hinzugekommene Wissen und Verständnis bei mir verstärkt. Man darf sich einfach kein Urteil erlauben oder sich anmaßen,
eine Meinung zu bilden über Dinge, von denen man nicht zu 100 Prozent Ahnung hat. Da hat sich durch diesen Film bei mir schon sehr viel verändert.

Die eigene Schuld steht im Mittelpunkt des Films. Wie viel Schuld trifft denn Stella Goldschlag?

Schuld in Opferzahlen zu quantifizieren, wäre in meinen Augen pervertiert. Schuld hat keine Abstufung. Es gibt sie, oder es gibt sie eben nicht, weil jedes Menschenleben zählt. Jemand, der auch nur einen Menschen bewusst hat sterben lassen, hat genauso Schuld auf sich geladen wie jemand, der 400 Menschen umbringt.

Betrachten Sie den Film jetzt, zwei Jahre nach den Dreharbeiten, anders als während des Drehs?

Ich habe eine andere Draufsicht auf die Figur, weil ich damals in Stella eintauchen musste, um sie spielen zu können, und meine Widerstände ablegen, die ich gegen sie hatte. Jetzt, wo sich auch unsere politische Lage verändert hat, schaue ich schon noch mal anders auf die Schuldfrage. Das, glaube ich, kann ich jetzt mit diesen zwei Jahren Abstand klarer sehen als unmittelbar nach dem Dreh. Wo stellen sich Weichen in welche Richtung? Wo fängt die Eigenverantwortung an? Wie sehr spielen unsere Ängste eine Rolle bei solcher Abwägung? Es erschreckt mich, dass gerade in Deutschland, wo diese dunkle Zeit des Nationalsozialismus passiert ist, Menschen dennoch nicht aus dieser Vergangenheit lernen. Nicht erkennen, was dazu geführt hat, dass so etwas überhaupt möglich war, wie sehr Instabilität oder Unsicherheit dazu führen kann, dass Menschen sich zu extremeren Ansichten oder Gruppierungen hingezogen fühlen. Das hat jetzt eine erschreckende Aktualität.

Wie lassen sich denn Jüngere sensibilisieren?

Eine Auseinandersetzung mit sich selbst finde ich sehr wichtig: Was bedeutet überhaupt Angst? Warum habe ich vor manchen Dingen Angst? Wie kann ich mich damit auseinandersetzen, um Zusammenhänge und Mechanismen zu begreifen? Ich weiß nicht, ab welchem Alter man das wirklich begreifen kann, aber ich glaube, es ist sehr wichtig, diese Zusammenhänge zu verstehen. Wenn ich mich selbst unsicher, nicht erkannt fühle, bin ich vielleicht bereit, eigene Werte anzugleichen an eine Gruppe, die mir das Gefühl gibt: Da werde ich gesehen, da werde ich gehört, und da bin ich jemand. Und ich glaube, das sind sehr grundlegende psychologische Prinzipien. Es wäre wichtig, diese Prinzipien zu kennen, weil man dann manches früher enttarnen kann. Es passiert leicht, dass man in der Schule über Nationalsozialismus und Antisemitismus spricht, aber die Brücke ins eigene Leben nicht geschlagen wird. Diese Brücke zu schlagen, das Verständnis dafür zu wecken, wie solche rechten Mechanismen funktionieren, finde ich wichtig. Weil wir Menschen zu sehr die Tendenz haben, zu sagen: ‚Das betrifft mich ja nicht, und das war eine ganz andere Zeit, was habe ich damit zu tun?‘

Kann ein Film wie „Stella. Ein Leben.“ dazu beitragen?

Das ist vielleicht eine Chance: Mit dieser 17-Jährigen, die Sängerin werden will und große Pläne hat, emotional involviert zu werden, ihr nachzuempfinden. Wenn die Zuschauerinnen und
Zuschauer sich in diese Bredouille führen lassen, Mitgefühl zu haben und gleichzeitig die Tat zu verachten und deshalb in ein emotionales Dilemma geraten, dann schafft der Film ganz viel.

Der Film „Stella. Ein Leben“ läuft ab dem 25. Januar im Kino.

Dieses Interview erschien zuerst in unserer Januar/Februar-Ausgabe 2024 – diese ist im Handel erhältlich, zum Beispiel über Amazon!

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