Diese kurz skizzierte (es könnte tragischerweise lange so weitergehen) rechtliche Lage in Deutschland steht eben auch für die oben genannten sinnbildlichen Füße im Nacken. Wie sollen Frauen und weiblich gelesene Menschen völlig frei leben können, wenn sie nicht einmal selbstbestimmten Zugang zu ihrem eigenen Körper haben und davon ausgehen müssen, dass sie für die ihnen angetane Gewalt wahrscheinlich nie Gerechtigkeit sehen werden. Deutschland stellt sich gerne als fortschrittlich und demokratisch dar, aber die Realisierung der Rechte von Frauen ist ein Gradmesser für Demokratien weltweit.
Wie unsere Argumente ungehört bleiben
Und dann gibt es doch wieder politische Hoffnungsschimmer wie vor gut einem Monat: Die EU hatte die historische erste (alleine das sagt viel über die Bedeutung von Frauenrechten aus) und bislang einmalige Chance, sich auf ein umfangreiches Gesetzespaket für Frauenrechte zu einigen, einschließlich Gesetzen zur häuslichen Gewalt, digitalen Übergriffen und Genitalverstümmelung. Die EU hat sich am Ende auch auf Mindeststandards verständigt. Doch aufgrund der Blockade, vor allem von Frankreich und Deutschland, wurde die vorgeschlagene EU-weite Vereinheitlichung des Vergewaltigungsstraftatbestands in Artikel 5 verworfen. In der EU herrscht nämlich ein Flickenteppich: In manchen Ländern gilt „Ja heißt Ja“, in manchen (wie Deutschland) „Nein heißt Nein“ und in anderen muss das Opfer weiterhin beweisen, dass es sich gegen Gewalt gewehrt hat. Wahnsinn. In der EU werden jedes Jahr schätzungsweise 1,5 Millionen Frauen vergewaltigt. Kaum eine von ihnen erfährt Gerechtigkeit.
Angesichts der deutschen Gesetzesblockade haben wir, über 150 Frauen der Öffentlichkeit, aus Politik, Wirtschaft und Kultur, in einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne gefordert, gehört zu werden. Und obwohl unsere Argumente über viele Kanäle an den deutschen Justizminister herangetragen wurden, war er zu keinem Diskurs mit uns bereit.
Und diese gewaltvollen patriarchalen Gesellschaftsordnungen schaffen nicht nur Unsicherheiten innerhalb von Staaten, sondern auch international. Empirische Studien zeigen: Wie Frauen behandelt werden, steht in direktem Zusammenhang zu Krieg und Konflikten weltweit. Die Kontrolle über Frauen und ihre Körper schafft weltweit Hierarchien und normalisiert Gewalt. Die Unterdrückung von Frauen hängt unmittelbar mit dem Wohlergehen von Nationen zusammen. Je stärker eine Gesellschaft Frauen missachtet und unterdrückt, desto massiver sind die negativen Folgen: schlechtere Regierungsführung, schlimmere Konflikte, weniger Stabilität, geringere Wirtschaftsleistung, weniger Ernährungssicherheit, schlechtere Gesundheit, verschärfte demografische Probleme, weniger Umweltschutz und sozialer Fortschritt. Von Massenmördern und Kriegstreibern bis hin zu Terroristen, werden Männer mit zu viel Macht und zu vielen Waffen weiterhin Leben und Gemeinschaften zerstören – es sei denn, wir finden endlich Wege, sie zu stoppen.
Was mir Hoffnung macht
Dies alles mag entmutigend wirken, doch das Positive ist: Verhalten und Gesetze lassen sich ändern. Nichts von dem Beschriebenen sind Naturgesetze, sondern das Ergebnis von zu viel Macht, Gewalt und Straflosigkeit. Genau deshalb müssen wir aufstehen und ein Ende dieser Verhältnisse fordern. Am meisten beeindrucken mich dabei die Frauen, die gegen autoritäre Führer in ihren Ländern aufbegehren und sie herausfordern. Frauen wie die im Iran, Frauen in Belarus, in Myanmar, in Afghanistan, in der Ukraine und an so vielen anderen Orten weltweit. Wir können überall etwas tun. Im Großen und Globalen, aber auch im Kleinen, im Nationalen oder Lokalen.
Als wir, die über 150 Frauen (sowie knapp eine Viertelmillion Menschen in einer Online-Petition), vor einem Monat das Ende der Gesetzesblockade forderten – darunter Frauen wie Düzen Tekkal, Luisa Neubauer, Collien Ulmen-Fernandes, Enissa Amani, Mareile Höppner oder Melissa Khalaj – konnten wir den deutschen Justizminister und die Bundesregierung zwar nicht von ihrer Haltung abbringen. Dennoch haben wir so viel gewonnen: Unsere Kampagne war eine der ersten in der Bundesrepublik, die so viele diverse berühmte und einflussreiche Frauen zu einem so feministischen Thema zusammenbringen konnte und damit derart viel mediale und politische Aufmerksamkeit erregte. Viele Frauen schrieben mir damals, dass unsere Kampagne, ja unser Aufbegehren, ihnen Hoffnung gibt. Das freut mich aufrichtig. Es gibt auch mir Hoffnung.
Es ist noch viel zu tun. Doch wir sind hier, wir sind großartig vernetzt und wir werden laut bleiben. In diesem Sinne: Happy Women’s Day!
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