Hinter den Mauern der Villa von Graf Axel nähert sich stündlich ein chaotischer Mob. Um wieder Ruhe herzustellen, muss der Graf eine zeitumkehrende Blume aus seinem Garten pflücken – bis es keine mehr gibt. Die Geschichte endet damit, dass die gedankenlose Meute die Villa stürmt, die sich nun als verfallenes Anwesen mit verwahrlostem Garten zeigt, in dem sich eine Statue von dem Grafen und seiner Gräfin in dornigen Tollkirschen verfangen hat.
Auf diese verschiedenen Arten lässt sich der Met Gala 2024 Dresscode interpretieren
Um TikTok, einen Sponsor der Gala, an dieser Stelle zu zitieren: „Ok – aber was ziehen wir an?“ Blicken wir also auf die vielfältigen Weisen, das Thema letztendlich zu interpretieren. Bei dem Dresscode geht es kurz gesagt – wie auch bei der Ausstellung – um flüchtige Schönheit. Die naheliegendste Interpretation wäre also, den „Garten“-Teil von „The Garden of Time“ aufzugreifen, etwa durch melancholische Blumenmuster.
Blumen-Motive
Zu den Stücken, von denen wir bereits wissen, dass sie in der Ausstellung zu sehen sein werden, gehört ein schwarzer Abendmantel von Charles Frederick Worth aus dem Jahr 1889, der aus einem Jacquard-Stoff mit eingewebten Papageientulpen besteht, die laut Met eine „aggressiv dynamische Qualität“ zeigen.
Ein Entwurf aus der Frühjahr-Kollektion 2014 von Dries Van Noten mit Stickereien mit Papageientulpen, die wie von dem Umhang von Charles Frederick Worth gepflückt erscheinen, würde somit eine passende Wahl darstellen. Das Gleiche gilt für ein Design aus seiner Frühjahr-Kollektion 2017, bei der die Models über einen Runway schritten, der von exquisiten, in Eisblöcken eingefrorenen Blumen des avantgardistischen Blumenkünstlers Azuma Makoto flankiert wurde. Diese kristalline Blumenreferenz würde eine ebenso gelungene Anspielung auf J. G. Ballard bilden.
Für diejenigen, die sich dem Blumenthema noch deutlicher verschreiben wollen: Bei den Couture-Kollektionen des letzten Fashion Month gab es gleich eine Handvoll unverblümt floraler Stücke. Man erinnere sich an einen Look des Couture-Debüts von Simone Rocha für Jean Paul Gaultier, bei dem die Models mit silbernen Rosen in der Hand auf dem Laufsteg erschienen – es wirkt beinahe so, als hätte die Designerin beim Entwerfen schon von dem diesjährigen Motto der Met Gala gewusst. Auch Look 36 von Giambattista Valli würde sich mit seinem melodramatischen, impressionistischen Blütenmuster aus Pailletten gut auf dem roten Teppich machen.
Neben diesen jüngsten Couture-Kreationen sollten wir jedoch auch nicht die blumigen Stücke aus der Frühjahrs-Kollektion 2015 von Karl Lagerfeld für Chanel aus den Augen lassen, die sich in einem mechanisch blühenden Garten angesiedelt zeigten – sehr „Ballardian“. Wir könnten uns auch Looks mit echten Blumen vorstellen, die vorzugsweise gerade dabei sind zu verwelken – schließlich wollen die Gäst:innen wie ein wandelndes Memento mori aussehen, wenn Sie die Stufen zum Museum erklimmen.
Anspielungen auf die Zeit
Natürlich könnte man auch auf die weniger floralen Codes in der Kurzgeschichte von J. G. Ballard eingehen. Obwohl die Zerstörung naht, spielt die Gräfin noch Mozart und Bach auf ihrem Cembalo. Wie passend wäre da etwa der Musiknoten-Look aus der Frühjahr-Kollektion 2014 von Valentino? Für diejenigen, die dem Text besonders treu folgen möchten: Graf Axel wird als begeisterter Träger von schwarzem Samt und einer seidenen Krawatte beschrieben.
Die Zeit – ihre Umkehrung und unsere Ohnmacht ihr gegenüber – stellt ein weiteres Thema dar, das es bei der diesjährigen Met Gala zu erkunden gilt. So könnte man die von Salvador Dalí inspirierte „Crash“-Uhr von Cartier am Handgelenk tragen. Um das Thema mit einem Augenzwinkern anzugehen (und ein früheres Thema der Met Gala zu referenzieren), könnte auch das Kleid im Standuhr-Look der Herbst-Kollektion 2022 von Moschino eine adäquate Wahl sein.
Statt auf dem Werk von J. G. Ballard könnte der Fokus auch auf den „Sleeping Beauties“ liegen
Alternativ können die Besucher:innen das Werk von J. G. Ballard auch beiseite lassen und den Fokus auf die Ausstellung legen, die die Natur in der Mode feiert. Wir wissen etwa, dass die verschwommenen Blumenkleider aus der Herbst-Kollektion 2023 von Loewe in der Ausstellung zu sehen sein werden – und jedes davon wäre ein Hingucker. Wir wissen auch, dass mehrere Looks von Alexander McQueen gezeigt werden, denn er war ein Meister der kuriosen Couture. Sein Kleid von Frühjahr 2001, das fast vollständig aus Muschelschalen gefertigt ist, die der Designer einst an den Stränden von Norfolk sammelte, ist ebenso zu bewundern wie das Minikleid mit den Flügeln eines Monarchfalters von Sarah Burton für Alexander McQueen. Dies unterstreicht, dass es nicht nur um Blüten geht, sondern auch um die weniger verbreiteten Inkarnationen von Flora und Fauna in der Mode. Legen wir unser Augenmerk auf die Unterthemen Land, Meer und Himmel, könnten auch Roben, die von der Maserung des Holzes (vielleicht ein schönes Seidenmoiré?), dem Muster von Fischschuppen oder dem Schillern eines Libellenflügels inspiriert sind, funktionieren. Die Natur bietet so viel, was wir bewundern können.