Künstlerische Werke von Isa Genzken treffen auf Mode für die Coverstory der Dezemberausgabe 2023 „Ausdrucksstark“
In den Augen der Designerin Phoebe Philo ist die Künstlerin Isa Genzken ein „Benchmark of Style“ – allerdings meint sie das nicht auf Mode begrenzt, denn eingrenzen lässt sich bei Isa Genzken nichts. Sie, die als eine der wichtigsten lebenden Künstlerinnen unserer Zeit gilt, greift in ihren Werken auf verschiedenste Elemente der Alltagskultur zurück, darunter Medien, Konsumgüter, Mode, Design, Architektur und städtische Umgebungen. Aus all diesen Inspirations- und Materialquellen schuf Isa Genzken komplexe und manchmal rätselhafte Kunst, die bis Ende November in der Retrospektive „75/75“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zu sehen ist. Was es mit der Zahl auf sich hat: Am 27. November wird Isa Genzken 75 Jahre alt. Unter den Bewunder:innen ihres Werks finden sich viele Kreative wie der Fotograf Wolfgang Tillmans, der Modedesigner Raf Simons oder die Designer hinter der New Yorker Modemarke Proenza Schouler, Jack McCollough und Lazaro Hernandez, mit denen Isa Genzken unter anderem für deren Frühjahr/Sommer-Kollektion 2019 zusammenarbeitete.
Über das bewegte Leben Isa Genzkens und die Faszination für Veränderung
Was ist so faszinierend an Isa Genzkens Kunst? Ist es das sich stetige Weiterentwickeln? Nur durch Weiterkommen entsteht für sie Modernität. „In meinem Leben habe ich mich immer mit dem Fließenden beschäftigt und mich gegen das Starre gewehrt. Das war automatisch – ich musste nie darüber nachdenken“, sagt die Künstlerin. Diese Faszination für Veränderung macht sich auch an Isa Genzkens bewegtem Leben bemerkbar. Zu den wichtigsten Stationen in ihrem Leben gehörten ihre Zeit an der Düsseldorfer Kunstakademie, ihr Aufenthalt in Köln während der Ehe mit dem Künstler Gerhard Richter, Episoden in ihrer Lieblingsstadt New York sowie ihr Leben in Berlin. Hier tauchte sie 1996 nach ihrer Scheidung in die Kulturszene der Hauptstadt ein, tanzte zu elektronischer Musik, setzte sich für LGBTQI+-Rechte und die Umwelt ein und protestierte gegen den Golfkrieg. Während ihrer beeindruckenden Karriere nahm sie an fünf Venedig Biennalen teil, 2007 repräsentierte sie den Deutschen Pavillon. Drei Mal war sie Teil der Documenta in Kassel, der weltweit wichtigsten Ausstellung für zeitgenössische Kunst, und erfuhr 2013 den Ritterschlag als weltweit anerkannte Künstlerin mit einer Retrospektive im MoMA New York. Die Ausstellung wurde von Phoebe Philo, damals noch Chefdesignerin von Céline, finanziell unterstützt. Große Bewunderung empfand Isa Genzken für das Deutsche Bauhaus, Mies van der Rohe im Speziellen. So betitelte sie es einst als Lebenstraum, in der von Mies van der Rohe er- bauten Neuen Nationalgalerie eine eigene Ausstellung zu haben. Die allgemeine Faszination für das Bauwerk ist bis heute ungebrochen: Es ist seit der Wiedereröffnung 2021 die wohl begehrteste Ausstellungsfläche Deutschlands, vielleicht sogar Europas, weshalb beispielsweise Anthony Vaccarello diesen Sommer dort seine Frühjahr/Sommer-Kollektion 2024 für Saint Laurent Men zeigte.
Und genau dort wurde nun Isa Genzkens Traum mit einer der meistbeachteten Ausstellungen dieses Jahr wahr. Klaus Biesenbach, Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin, sagt über sie: „Sie ist eine Künstlerin, die sich mit der Moderne auseinandersetzt, aber so radikal immer neue Wege beschreitet und neue Materialien ausprobiert, sich immer wieder so wunderbar neu erfindet und verletzlich macht, weil sie wieder ganz neue Formen einbringt. Sie ist dadurch eigentlich die Definition von Zeitgenossenschaft.“ Klaus Biesenbach leitet seit 2022 die Neue Nationalgalerie, davor war er Direktor des Museum of Contemporary Art, Los Angeles (MOCA), davor Chief Curator at Large am Museum of Modern Art (MoMA) in New York City sowie Leiter der New Yorker Kunsthalle MoMA PS1. Seine Sicht auf Kunst und den Umgang damit bringen frischen Wind in die Neue Nationalgalerie: Spannende, das Museum ganz einnehmende Ausstellungskonzepte, aber auch ein Performance- und Eventprogramm in und um dem Museumsbau herum öffnen die Neue Nationalgalerie nun einem breiteren Publikum. Die Ausstellung „75/75“ kuratierte er gemeinsam mit Lisa Botti, die mehrere Jahre bei der Sydney-Biennale tätig war und in Singapur einen Kunstraum leitete. Unsere Kunstexpertin Anna Deilmann sprach mit beiden über das Werk und die Bedeutung von Isa Genzken.
Klaus Biesenbach, Direktor der Neuen Nationalgalerie, und Lisa Botti, Co-Kuratorin, im VOGUE Interview – über Leben und Kunst Isa Genzkens:
Anna Deilmann: Besonders aufsehenerregend ist die aufragende Rose (siehe Seite 162), die direkt vor Ihrer Tür, also der Neuen Nationalgalerie stand. Die Idee dazu hatte Isa Genzken, als sie auf dem Boden lag und ihr die Blumen um sie herum aus dieser Perspektive größer vorkamen. Welche Bedeutung haben Maßstäbe für die Künstlerin?
Lisa Botti: Maßstab, Monumentalität und Vorstellungskraft sind sehr wichtig in Isa Genzkens Arbeit und führen zu einer skulpturalen Narration. Die Rose muss so groß sein, damit der Rest um sie klein wird. Ihre Werke haben nie eine Eins-zu-eins-Wirkung, sondern eher die Qualität eines Modells. Die wahre Größe wird nur in der Vorstellung der Betrachtenden realisiert. Die Betonwerke mit den Titeln „Kapelle“ und „Atelier“ denkt man sich gedanklich viel größer. Die Idee der Narration ist ein wiederkehrender Aspekt in ihrer Arbeit. Sie schafft es, relativ kleine Skulpturen zu machen, die dann eine große, relative Monumentalität erlangen. Das ist ein sehr seltenes Attribut. Sie selbst sagte 2009: „Die Rose scheint ja ein internationales Zeichen zu sein, es gibt keine andere Blume als die Rose, bei der sich jeder wahnsinnig freut, wenn er sie sieht.“ Und das stimmt! Sie ist für alle Vorbeifahrenden eine Freude und wurde schon als neuer Treffpunkt angenommen: Man trifft sich an der Rose.
Klaus Biesenbach: Isa Genzken erlaubt oft sehr spezifische Assoziationen: Sie lädt die Besucher:innen ein, viel mehr als in der Konzeptkunst oder dem Minimalismus, zu assoziieren, in etwas fast persönlich Anekdotisches, und öffnet damit eine narrative Ebene. Viel Kunst, die Einfluss auf sie hatte, sperrt sich dagegen. Der Mut, das Assoziative zuzulassen, macht meiner Meinung nach ihre Kunst so stark und persönlich.
Isa Genzkens Kunst: Kommunikation und Fragen des Menschseins im Fokus
Isa Genzkens Werk zeigt im Laufe ihres Schaffens Veränderungen. Gibt es Aussagen oder ästhetische Elemente, die beständig sind?
L. B.: Alle Skulpturen von Isa Genzken sind Körper, die etwas Anthropologisches in sich haben: Die Ellipsoiden (siehe S. 168) schreite ich ab und messe so meinen Körper. Auf dem Foto, auf dem sie das Hyperboloid hält (siehe S. 178), sieht man die Idee des direkten Dialogs der Skulptur mit dem Menschen. Serien wie „die Weltempfänger“ (siehe S. 169) und Betonarbeiten sind genau auf Kopfhöhe installiert auf eigenen Podesten, wobei das Podest der Torso ist und die Skulptur der Kopf. Alle Podeste sind von Isa Genzken selbst angefertigt und gehören zum Kunstwerk. Außerdem ist in allen Werken etwas Fragiles, Zerbrechliches zu erkennen, inhaltlich, aber auch materiell. Sogar in den Betonarbeiten wie beispielsweise dem „Atelier“ von 1990 (siehe S. 168.). Das Zusammenspiel der Arbeit wirkt durch das verwendete Material massiv, es sind jedoch alles Einzelteile, die nur lose aufeinandergestapelt sind. Auch der Drang nach Kommunikation ist im ganzen Werk zu erkennen: Die Antennen der Weltempfänger und die Öffnungen der Fenster (siehe S. 161) sind dafür Hinweise. Auch durch verwendete Materialien wie beispielsweise reflektierende Spiegel und Folien (siehe S. 166f ) stellt sie die Fragen des Menschseins, die sie an sich selbst stellt, immer an die Betrachtenden zurück.
Das hat es mit Genzkens Arbeiten „Die Weltempfänger“ und „Fuck the Bauhaus“ auf sich
Die Weltempfänger (siehe S. 169) sind eine der bekanntesten Serien von Isa Genzken. Was erzählen sie uns?