Wie sieht gesunder Patriotismus aus?

Das ist eine gute Frage. Ich bin mir nicht sicher, ob es das gibt. Wenn Patriotismus so gelesen werden könnte, dass es nur um die Identifikation mit den demokratischen Wertvorstellungen geht, dann ließe sich das am ehesten als „gesunder“ Patriotismus bezeichnen. In der Praxis würde ich aber bezweifeln, dass das so einfach geht. Patriotismus vermischt sich immer mit Ausgrenzung.

Wo fängt Ausgrenzung an?

Die starke emotionale Aufladung von kollektiven Identitäten geht eigentlich immer mit einer Abgrenzung nach außen einher – dem sogenannten Othering, also der „Veranderung“ des Gegenübers. Je mehr sich die Leute über so eine symbolische Kategorie wie Nation und nationale Zugehörigkeit identifizieren, die durch nationale Symbole noch befeuert wird, desto stärker wird auch die Abgrenzung nach außen. Mit dem Unterstreichen von „Ich gehöre zu dieser Gruppe“ geht auch immer ein Stück weit die Frage „Wer gehört eigentlich alles nicht dazu?“ einher. Das kann man dann an unterschiedlichen Merkmalen festmachen – ob das die Hautfarbe oder die religiöse Zugehörigkeit ist oder andere Merkmale sind, die eine stärkere Abgrenzung nach außen verdeutlichen.

Inwiefern könnte der sportliche Erfolg der Mannschaft zu einem Gefühl der Einigkeit in der Gesellschaft beitragen?

Da gibt es sicherlich eine nicht zu unterschätzende symbolische Kraft des Fußballs. Das war schon bei den alten Römer:innen so: Gebt dem Volk Brot und Spiele, und dann sind sie zufrieden. Solche Spiele sind schon seit 2000 Jahren für ihre Wirkmächtigkeit bekannt, und das lässt sich, denke ich, auch auf den Fußball übertragen – vor allem, wenn so ein Turnier erfolgreich verläuft und zu Hause stattfindet, wo alle ein bisschen daran teilhaben können. Dass die Unterstützung der Bevölkerung die Mannschaft dann von Sieg zu Sieg tragen kann, wird auch in der Berichterstattung immer betont. Das kann natürlich zu einem Zugehörigkeitsgefühl führen, was auch andere Spaltungen in der Gesellschaft – zumindest für eine Weile – übertüncht. (Dr. Ismer macht eine nachdenkliche Pause)

Ob man das will oder ob man lieber über diese Spaltung und die Gründe für diese Spaltung und die Unterschiedlichkeiten in der Gesellschaft eine Debatte führen und schauen möchte, was wir tun können, um gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen zu ermöglichen, anstatt nur auf einer emotionalen Ebene Zugehörigkeit zu konstruieren, ist eine andere Frage. Ob beides geht oder das eine das andere befördern kann, ist auch noch mal eine weitere Frage.

Könnte auch das Gegenteil der Fall sein? Also könnte eine Niederlage der Mannschaft zu einer noch stärkeren Spaltung der Gesellschaft führen?

Es gibt in der Sportpsychologie das sogenannte „CORFing“-Phänomen, „cutting off reflected failure“. Wenn die Mannschaft, mit der man sich identifiziert, nicht die Leistungen zeigt, die man sich erhofft hat, dann schwindet auch schnell die Identifikation – zumindest für eine Weile. Dann wenden sich die Leute ab und sind einfach frustriert. Spaltung und Ausgrenzungen werden dann ein Thema, wenn Sündenböcke für den Misserfolg gesucht werden.

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