Als ich dem Arzt in der Harley Street sagte, ich wolle nicht, dass mein Mann mich erkennt, wenn ich meinen Schleier abnehme, war das eindeutig ein Scherz. Aber als ich am nächsten Tag in der Apothekenschlange stand, kamen diese Worte immer und immer wieder zurück. Sie verfolgten mich. Verzweifelt begann ich mich zu fragen, warum ich diese ganzen Verschönerungsarbeiten überhaupt hatte durchführen lassen. Um hübscher auszusehen? Weil andere Leute das so machen? Ich wollte an meinem Hochzeitstag einfach nur wie ich selbst aussehen – wie ich selbst, nur besser – aber ab welchem Punkt führt die Verbesserung des eigenen Aussehens dazu, dass man sich selbst ganz und gar negiert? Verlieren wir in einer Welt, die von Perfektion besessen ist, allmählich den Blick für uns selbst?
Unterliegen wir einem Wahrnehmungsdrift?
Der Begriff „Wahrnehmungsdrift“ beschreibt die Veränderung der Selbstwahrnehmung, wenn man sich neuen Eingriffen unterzieht und die Kontrolle über sein Aussehen verliert: „Je mehr Eingriffe man vornimmt, desto schwieriger kann es sein, sich daran zu erinnern, wie man am Anfang aussah“, erklärt Dr. Olivia Remes, Forscherin an der Universität Cambridge, Life Coach und Autorin von This Is How You Grow After Trauma. Außerdem kann es sein, dass Sie bei jedem vermeintlichen „Fehler“, den Sie ausbessern, feststellen, dass Sie eigentlich etwas anderes ausbessern müssen, wodurch Sie in einen Teufelskreis geraten, aus dem Sie nur schwer wieder herauskommen.“Das ist etwas, was Dr. Maryam Zamani, Augenchirurgin, Ästhetische Ärztin und Gründerin von MZ Skin, bei einer wachsenden Zahl ihrer Patienten bemerkt hat, so sehr, dass sie anfangen musste, einige von ihnen abzuweisen: „Meine Praxis ist auf dem Ethos aufgebaut, dass weniger mehr ist. Es gibt jedoch immer Patienten, die mehr wollen, aber ich werde niemanden behandeln, von dem ich nicht glaube, dass sie:er ein realistisches Ergebnis wünscht.“
Das Problem liegt nicht nur bei den Fillern, sondern auch bei der Art und Weise, wie wir uns online präsentieren
Wenn ich mich fotografieren lasse, kenne ich meinen Winkel (Dreiviertelansicht), mein Licht (direkt) und meine Pose (kecker Schmollmund). Ich bin so sehr daran gewöhnt, ein ganz bestimmtes Bild von mir zu sehen, dass ich es zunehmend als störend empfinde, wenn mich jemand unvorbereitet erwischt. Genauso ist es, wenn man sich selbst auf Zoom gespiegelt sieht, wenn diese Stimmen im Hintergrund anfangen, an einem zu nagen: „Sehe ich wirklich so aus?“ und, was noch beunruhigender ist, „Was kann ich tun, um das zu ändern?“
Aber das Problem ist nicht nur, dass wir uns selbst ansehen, sondern auch andere Menschen. Als ich kürzlich nach Paris reiste, war ich schockiert über die vielen aufgeplusterten Gesichter, die die erste Reihe der Couture-Schauen für Frühjahr/Sommer 2024 besetzten – nicht nur über die Menge an Füllmaterial, sondern auch über die Diskrepanz zwischen dem, wie diese bekannten Persönlichkeiten online erscheinen, und dem, wie sie tatsächlich im wahren Leben aussehen. Welche Hoffnung können wir in Bezug auf unser eigenes Selbstbild haben, wenn sich unsere Wahrnehmung derer, zu denen wir alle aufschauen, ebenfalls zu verändern beginnt?