In dem Buch “Söhne groß ziehen als Feministin” verarbeitet Shila Behjat ihr Erziehungsdilemma.

Mädchen können alles, was Jungs können. Frauen können alles ohne Männer. So bin ich groß geworden. Die Stärke, Kraft und Ausdauer, die ich mir angeeignet habe, brauche ich auch im Kampf gegen männliche Dominanz in Strukturen, im Denken, aber selbstverständlich auch gegen die, die diese Dominanz verkörpern. Männer.

Ja, mein Leben als Frau ist unsicher, ungerechter, weil es Männer gibt. Jede dritte Frau in Europa erfährt in ihrem Leben mindestens einmal sexualisierte Gewalt. Und selbst wenn sie es nicht tut, geht sie durch ihr ganzes Leben in der Angst davor. So wie es die Philosophin Ann Cahill in ihrer Schrift „Rethinking Rape“ schreibt: Allein die Gefahr einer Vergewaltigung „hat einen tiefgreifenden Einfluss auf Struktur und Qualität meines Lebens.“ Für das Ende dieser Bedrohung, dieser Unterdrückung führte für mich lange Zeit nichts am Ende der Unterdrücker vorbei.

Kann man gegen das Patriarchat kämpfen, ohne gegen Männer zu kämpfen?

Männer, vornehmlich weiße, sind die lebende Verkörperung meiner Bedrängnis und über die körperliche hinaus auch der Grund dafür, dass ich kleingehalten und für dumm erachtet wurde, als zu emotional, zu lieb, zu dies oder jenes gelte und mir abgesprochen wird, frei und hemmungslos ich selbst sein zu können. Sie passten für mich nicht in diese Welt, die ich mir als Feministin erträumte. Für mich stellte ihre Existenz per se ein gewaltiges Problem dar. Und nun bin ich Mutter zweier künftiger Männer. Die blond sind. Helle Haut. Wie bin ich hierher gekommen? Und vor allem – was mache ich jetzt?

Deshalb ist es Zeit für ein Streitgespräch. Ein sehr persönliches, eines mit mir selbst. Wo fing es genau an? Vermutlich dort, wo vieles für viele Mütter beginnt. Auf der Pritsche der Frauenärztin liegend. Als sie sagte: „Oh, ich sehe da was.“ Und ich aus diesem Etwas sofort, mehrere gendersensible Stufen auf einmal überspringend, zu Hause die Konsequenz zog: „Er darf bloß kein Arschloch werden.“ Darin steckte kein Schock und keine Trauer. Ich hatte nicht den Wunsch gehabt, eine Tochter zu bekommen. Über die Möglichkeit eines Sohnes jedoch hatte ich auch nicht nachgedacht, und diese Möglichkeit entpuppte sich nun als eine Aufgabe. Kein Arschloch.

Die Angst vor gesellschaftlicher Verurteilung beginnt schon während der Schwangerschaft

Erst später, Monate nach den Momenten am Ultraschallgerät der Frauenärztin, entdeckte ich allmählich, wie scharf und ungerecht meine eigene Einteilung sich zog, unstrittig entlang des äußeren Merkmals eines Glieds … und wie sehr ich daran ebenjene Verurteilung fesselte, deren Pauschalität wir Feministinnen doch immer entrüstet von uns weisen. Nur weil ich eine Frau bin, heißt das noch lange nicht: dies, das und jenes.

Aus dem künftigen Mann in meinem Bauch schloss ich schlicht das Fürchterlichste, soviel ich auch theoretisch über die Konstruiertheit von Geschlecht wusste. So scharf meine unreflektierte, spontane Geschlechtereinteilung zum Zeitpunkt des Ultraschalls eingestellt war, so akut beschlich mich nach und nach das Gefühl, dass nicht das Geschlecht oder äußere Merkmale der entscheidende Faktor im gemeinsamen Leben dieser Menschen mit mir sein würden. Sondern das, was andere damit taten und daraus machten.

Und das wiederum kannte ich als eine um Gleichstellung Kämpfende ja eigentlich gut. Ich kannte das Lebensgefühl, mir ständig zu wünschen, für die eigene Art geschätzt und gesehen zu werden – hat Humor, ist interessiert und zugewandt, mag den intelligenten Schlagabtausch, solche Dinge –, und dann immer wieder festzustellen, dass andere mich zuallererst als das eine wahrnehmen: als eine Frau.

Wie also da rauskommen? Ich bin inzwischen überzeugt, dass es für mich erstens nur mit einem Zugeständnis geht. Die Zukunft ist nicht weiblich. Jeder Moment der Gegenwart, den wir hier und jetzt erleben, zeichnet aber bereits diese unsere neue Realität, in der alles, was nicht männlich und weiß ist, eine größere Relevanz bekommt und in der gleichzeitig das Männlich-Weiße so sehr infrage gestellt wird wie niemals zuvor. Zumindest seit wir uns erinnern können.

Das Ende einer von Männern regierten Welt ist noch nicht in Sicht – aber sie wird mehr denn je infrage gestellt

Dies verdanken wir all jenen, die vor uns waren, die sich dem Trauma und der Gewalt entgegengeworfen und etwas Besseres geschaffen haben. So wie wir, die Generation, die #MeToo lostrat, es für die Jüngeren verbessern. Und aus dieser Erkenntnis folgt sogleich die nächste: Das Ende des Patriarchats allein ist noch keine Idee. Was kommt danach? Ich muss mich das fragen, denn ich lebe tagtäglich in einer Gemeinschaft mit Männern, meinen Söhnen.

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