VOGUE: Wir haben uns zuletzt Anfang 2023 getroffen, in der Zwischenzeit ist bei Ihnen sehr viel passiert. Wie würden Sie das Jahr für sich beschreiben?

Sandra Hüller: Es ist ein sehr arbeitsreiches und ein sehr ertragreiches Jahr, gleichzeitig.

Haben Sie dabei konkrete Highlights im Kopf?

Nein, ehrlich gesagt ist das so ein konstanter Strom von Eindrücken im Moment.

An welchem Punkt des Stroms befinden Sie sich gerade?

Ich bin gerade mit Ihnen hier und mache ein Interview.

In „The Zone of Interest“ spielen Sie Hedwig Höß, die Ehefrau des ehemaligen Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß. Wie kam es dazu, dass Sie diese Rolle angenommen haben?

Das hat sich sozusagen angeschlichen. Ich bekam zunächst von der wunderbaren Castingdirektorin Simone Bär, die leider nicht mehr unter uns ist, zwei Drehbuchseiten geschickt, auf denen sich ein Ehepaar streitet, ob es bleiben oder gehen soll. Ich wusste nicht, um wen es geht, und auch nicht, wer die Regie macht. Und ich hatte eigentlich auch keine Zeit, zum Casting zu gehen. Aber dann habe ich wegen Simone gesagt, dass ich komme – und daraufhin kamen dann nach und nach diese Informationen. Zunächst dachte ich, dass ich ablehne, weil ich eigentlich keine Arbeit in Nazis stecken möchte. Doch dann bin ich wegen Jonathan Glazer und auch wegen Simone und Christian [Friedel] trotzdem hingefahren. Durch viele, viele Gespräche wurde dann klar, dass es hier nicht um eine gewöhnliche Nazi-Abbildung geht, sondern dass es da ein großes Bewusstsein für Repräsentation gibt seitens Jonathan Glazer und dass er wirklich einen anderen Weg einschlagen will als den, den ich bis jetzt bei vergleichbarem Stoff gesehen habe.

Also haben sie durchaus gezögert vor der Zusage?

Ich habe sehr lange gezögert, ja.

Sandra Hüller über ihre Rolle der Hedwig Höß

Beim Schauspielen ist sicher einer der spannendsten Aspekte, in eine Figur ganz einzutauchen. In Hedwig Höß mochten Sie sich gar nicht hineinfühlen. Was hat Sie trotzdem an der Figur interessiert?

An der Figur hat mich tatsächlich wirklich nicht so viel interessiert. Mich hat diese gesamte Versuchsanordnung interessiert. Die zehn Kameras, mit denen wir gearbeitet haben, die wirklich versuchen, von außen zu beobachten, wie diese Leute sich verhalten, die immer in der Distanz bleiben und jede Form von Glamourisierung, Fetischisierung oder Ähnliches vermeiden, all das findet gar nicht statt. Es gab kein künstliches Licht in diesem Film, kein Framing, keine Nahaufnahmen, nichts, womit man das Publikum verführen oder leiten könnte, sondern wirklich nur den reinen distanzierten Blick. Das Sounddesign war von Anfang an so angedacht; also es war klar, dass wir nichts von dem sehen, was im Lager passiert, sondern das nur hören und spüren – und ich glaube, wenn man den Film ansieht, dann spürt man das sehr deutlich, selbst wenn man nichts über diese Zeit weiß. Ich wurde in einem anderen Interview gefragt, ob man nicht wahnsinnig viel über die Zeit wissen muss, um mit diesem Film was anfangen zu können. Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass der mit jeder Person etwas macht, die ihn sieht, und dass selbst Menschen, die nichts über den Holocaust wissen, anfangen, darüber nachzudenken, was das gewesen sein könnte, und das herauszufinden – und dann vielleicht anfangen, darüber nachzudenken, wie so etwas zu vermeiden ist.

„The Zone of Interest“ zeigt auf, wie Rudolf und Hedwig Höß (gespielt von Sandra Hüller) während des Zweiten Weltkriegs eine Familienidylle direkt hinter der Mauer des KZ Auschwitz simulierten. Der Film ist für fünf Oscars nominiert, bei den Golden Globes im Januar hatte er dreimal Chancen.A24

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