VOGUE Austria-Special: Die Autorinnen Alexandra Bondi De Antoni und Jovana Reisinger blicken auf ihr Heimatland Österreich – mit Nostalgie als auch Bedenken.

Die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek sagte einmal: „Die österreichische Seele ist aus Schokolade und Marzipan, das, was ich mal eine kernfaule Mozartkugel genannt habe. Außen süß und lieb, innen aber ein ekliger Kern. Wenn man zu dem vordringt, dann wird es sehr bitter. Und manchmal auch gefährlich.“ Als Auslandsösterreicherinnen, die aus persönlichen und beruflichen Gründen schon lange nicht mehr in Österreich leben, einen Text über die Heimat zu schreiben, entpuppt sich als genau das: bitter. Aber auch süß. Denn: Österreich hat zwar einen einzigartigen Schmäh, beheimatet große Kreative, steht für eine schmackhafte Küche und ist auf eine schöne Art exzessiv. Aber es ist auch offenkundig politisch rechts, ebenso frauenverachtend und besorgniserregend konservativ. Ist es die romantische Verklärung, die Österreich mehr durchgehen lässt? Wie soll man das zusammenfassen in einem Text, wenn einen die Gleichzeitigkeit der Ereignisse scheinbar überfahren?

Typisch Österreich: Über Neujahrstraditionen, Opernball und Austropop

Unsere Zusammenarbeit startet lustig. Wir sprechen darüber, dass viele Exilösterreicher:innen immer noch an jedem 1. Jänner um zwölf Uhr mittags und unabhängig vom Nüchternheitszustand die Übertragung des Neujahrskonzertes der Wiener Philharmoniker schauen oder sich ein paar Wochen später dazu verabreden, gemeinsam die Looks der Opernballgäst:innen zu kommentieren. Wir diskutieren, ob Schnitzel mit Gurken-Erdäpfelsalat gegessen wird oder mit Kapern und Sardellen (wir sind uns immer noch nicht einig). Wir lachen über die Songtexte der Austropopstars wie S.T.S. und Stefanie Werger, die wir in der Kindheit mit unseren Eltern rauf und gehört haben und bei denen wir noch immer mitsingen können. Und wir wundern uns über die neuartige Obsession von Menschen aus Berlin mit Soda Zitron (wie der Name schon sagt: Sprudelwasser mit Zitrone, ein Getränk, das man selten auf deutschen Getränkekarten findet), während wir uns einen weißen Spritzer (das deutsche Wort „Weißweinschorle“ kommt uns nur schwer über die Lippen) nach dem anderen reinkippen. Und dann ist da noch die scheinbar permanente Lust auf „a Hüsn“ (Bier aus der Dose), Palatschinken (österreichische Pfannkuchen) und eine Folge „Liebesg’schichten und Heiratssachen“ oder „Seitenblicke“, um schon bei der Anfangsmelodie wieder Kind zu sein.

Egal wo wir auf andere (Exil-)Österreicher:innen treffen, wir fühlen uns über elendig lange Strecken und Ländergrenzen hinweg verbunden und suhlen uns gemeinsam in unserem immanenten und scheinbar niedlichen Nationalstolz. Wir alle kennen das Gefühl, wenn wir den ersten Bissen Extrawurstsemmerl oder Eitrige essen (am besten einfach im Supermarkt oder Würstelstand beim nächsten Österreichbesuch bestellen, gibt’s mittlerweile auch vegan) oder den ersten Schluck Lattella trinken (ein fruchtiges Molkegetränk), während im Radio auf FM4 die gleiche Musik läuft wie damals, als wir Indierock noch ur gut fanden. Oder die schöne pseudointellektuelle Trägheit, die uns überkommt, wenn wir stundenlang im Kaffeehaus sitzen, keinen Cappuccino, sondern eine Melange bestellen und über den grantigen Herrn Ober schmunzeln. Dabei handelt es sich um eine andere Grantigkeit als in Deutschland. Man nimmt sich nicht so ernst, deshalb nimmt man sie niemandem übel und erwartet diesen Umgangston regelrecht.

Ein Land zwischen romantischer Verklärung und Rechtsruck

Als wir im Zuge der Recherche auf Instagram ein Bild der Austropopgröße Stefanie Werger teilen, wurden unsere Postfächer mit Nachrichten von Österreicher:innen geflutet, die uns zeigen wollen, wie leiwand auch sie die „Stoak wie a Felsen“-Sängerin finden. Es könnte alles so einfach und süß und witzig sein. Wenn nicht, als wir das erste Mal über diesen Text sprechen, gerade die Nachricht durch die Medien geht, dass an einem Tag fünf Frauen in Wien ermordet wurden. Wenn nicht die rechte FPÖ derzeit Umfragewerte um 30 Prozent hätte. Wenn nicht unser Ex-Kanzler Sebastian Kurz im Prozess um eine mutmaßliche Falschaussage im Untersuchungsausschuss um die Ibiza-Affäre schuldig gesprochen wurde.

Wenn nicht in einer NDR-Dokumentation über Machtmissbrauch im Film und Theater Vorwürfe gegen die österreichischen Regisseure Paulus Manker und Julian Pölsler erhoben wurden. Ja, genau, der Pölsler, der sich ganz unironisch der Verfilmung sämtlicher Marlen-Haushofer-Texte, die sich kritisch mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft auseinandersetzen, verschrieben hat. All diese Ereignisse spielen sich innerhalb einer Woche ab. Angeblich sagte einmal der österreichische Schriftsteller Karl Kraus: „Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Wien. Da passiert alles 50 Jahre später.“ Das ist nicht nur etwas Gutes. Den „ekligen Kern“, wie ihn Elfriede Jelinek nennt, man könnte ihn einfach wegvernostalgieren und mit ein bisschen Pathos und Romantik über vieles hinwegschauen – das wäre typisch österreichisch.

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